Afghanisch-deutsche Begegnungen

Das 23. Hamburger Afghanistan-Seminar fand wieder im CVJM Tagungs- und Gästehaus „Der Sunderhof“,  knapp 30 Kilometer südlich von Hamburg statt.

Wie immer war die Nachfrage nach Teilnehmerplätzen groß, d. h. es gab mehr Anmeldungen als vorhandene Seminarplätze, weil – wie schon zuvor – das Programm mit spannenden Beiträgen, Referenten und nicht zuletzt Teilnehmerbeiträgen eine Bereicherung für alle Afghanistaninteressierte darstellte. Dies schlug sich u.a. in der großen Anmeldungszahl  der afghanischen und deutschen Teilnehmer  nieder. Darüber hinaus kamen u.a. Mitglieder und Mitarbeiter von Plan International, GIZ, CIM und Universitäten um – wie sie selber sagten: „Mehr über Afghanistan, auch über die aktuelle Situation zu lernen.“

Nach der offiziellen Begrüßung durch Amadeus Hempel und Dr. Yahya Wardak und nach einer Vorstellung aller Teilnehmenden wurden die Erwartungen aller an das Seminar gesammelt. Nahezu zwangsläufig schloss sich eine rege Diskussion über die aktuelle Situation in Afghanistan  und über die Situation der Afghanen in Deutschland an.  Zur Einstimmung auf die Vorträge und Beiträge der folgenden Seminartage wurden abends Filme zur  afghanischen Geschichte gezeigt.

Übergeordnetes Ziel war in diesem Jahr, Situation und Perspektiven der in Deutschland lebenden afghanischstämmigen Menschen und der afghanischen Flüchtlinge sowie die Perspektiven Afghanistans darzustellen. Berücksichtigt wurden auch die Abschiebung nach Afghanistan sowie die sog. Rückkehrerprogramme.

Der afghanische Botschafter in Deutschland, S. E. A. Ahmad Jalali, hatte eine Grußbotschaft geschickt, die vom Alam Gul Sahar, Kultur-Attache der afghanischen Botschaft in Berlin verlesen wurde. Diese Botschaft zeigt – so wie im Vorjahr der Vortrag des ehemaligen UNESCO-Botschafter Dr. Zahir Aziz –, dass die Hamburger Afghanistan-Woche zu einer Institution geworden ist, die weit über Hamburg, Norddeutschland und interessierte afghanischstämmige Menschen hinaus bekannt und anerkannt ist. Während des restlichen Seminartages ging es überwiegend um Geschichte: Helmut Jäger referierte zu den griechischen Großkönigen in Afghanistan und in einem Film wurde die Situation Afghanistans zwischen den Großmächten beschrieben.

Wie in jedem Jahr wechselten sich reine Vortragsthemen mit interaktiven Elementen ab.

1979 bis 1989 – zehn Jahre lang führte die ehemalige Sowjetunion Krieg mit Afghanistan. Tim Kucharzewski, Doktorand an der Universität Potsdam, erläuterte Entstehungszusammenhänge, Entwicklungen und Hintergründe dieser schwierigen Zeit zu Beginn des zweiten Seminartags. Silvia Nicola, Doktorandin an der Freien Universität Berlin und Helmut Jäger führten mit den Teilnehmenden einen Dialogkreis zu Werten durch (Nicola) sowie praktische Übungen zu non-verbaler, gewaltfreier Interaktion durch (Jäger). Beides stieß auf großes Interesse, aktive Teilnahme und regte zu vielen Nachfragen an.

Mit großer Betroffenheit und viel Emotionalität sahen sich die Teilnehmenden nachmittags den Film True Warriors an, der von Niclas Schenk und Ronja Wurmb-Seibel (Regisseure) präsentiert und vorgeführt wurde. Ein Terroranschlag in Kabul – abends während einer Theatervorstellung im französischen Kulturzentraum  – war nachgefilmt und mit Interviews zusammengestellt worden.

Am Mittwoch ging es vorrangig um internationale Politik und Afghanistan. Thomas Löbbering legte das internationale Engagement in Afghanistan zwischen 2001 – also seit dem  11. September 2001 – mit Ausblick auf 2024 dar und stelle die Rolle Deutschlands dabei besonders heraus. Nachmittags erläuterte Dr. Hans-Ulrich Seidt, der ehemalige deutsche Botschafter in Afghanistan)  Afghanistans Weg zur Selbstbestimmung nach dem Ende des ersten Weltkriegs. Diese wie auch weitere geschichtlichen Referate trugen maßgeblich zum Verstehen der Situation des Landes und vor allem seiner Bürger bei. Dr. Farouq Azam, Vorsitzender des Movement for Peaceful Transformation of Afghanistan analysierte in seinem Vortrag “Afghanistan: Changing Strategies, Preserving Gains“  die aktuelle Situation mit ihren Akteuren und unterbreitete Vorschläge für einen Strategiewechsel bei gleich bleibenden Zielen.

Am Donnerstag widmete man sich überwiegend der Präsentation diverser Projekte.  Wie schon in den Vorjahren hat sich auch dieses Seminarelement sehr bewährt, bietet es doch immer Eindrücke aus erster Hand und außerdem unmittelbar Gelegenheit, sich zu vernetzen und ggf. zu engagieren im Engagement anderer. Unter anderem ging es um die Erfahrungen der kulturellen Identität in griechischen Flüchtlingslagern (Angela Schöpke,  University of Michigan, USA) und die Organisation der medizinischen Basisversorgung durch eine sich mehr und mehr selbsttragende Klinik in Kabul (Dr. N. Khogiani, Leiter der Klinik aus Kabul). An diesem Beispiel konnten sehr schön verdeutlicht werden, was möglich ist, wenn ein kluges Konzept,  diverse Menschen mit Knowhow, das sie kostenlos zur Verfügung stellen (zum Bau der Klinik) und auch Wissen über das Land und Kontakte zu den entsprechenden Entscheidungsträgern im Land vorhanden sind. Voraussetzung für alles: ein entschiedener Wille, dies zu tun. Weiterhin wurden vorgestellt:  die Weiterbildung von Ärzten in Usbekistan (und die Unterschiede, die sich zu einem solchen Projekt in Afghanistan ergeben würden) von Dr. Salmai Turial sowie eine Evaluation deutscher Projekte beim Aufbau von Studiengängen im Informatikbereich (Prof. Dr. Wolfgang Finke em.).

Der Schriftsteller und Ingenieur Ghulam Faruq Mirahmadi las zum großen Vergnügen der Anwesenden aus seinem Buch „Scheitanak“, einem Buch für Kinder und auch Erwachsene, vor. Das Buch hatte auf der Buchmesse in Bonn 2017 einen Preis erhalten. Volker Bausch, ehemalige Lehrkraft und Bildungsmanager in Afghanistan, präsentierte das Buch „Deutschland und Afghanistan. Verwobene Geschichte: Amanullah-Ära und 1933 – 45“, das  eine profunde und detaillierte Darstellung dieser Zeit versprach.

Wie immer war der Donnerstagabend der „Bunte Abend“. Es wurde gegrillt, gefeiert und getanzt, wobei der traditionelle afghanische Atan-Tanz nicht fehlte. Am Freitag wurde neben der Vorführung des Films Malala, Ihr Recht auf Bildung, das Programm „Migration für Entwicklung“ des Centrums für internationale Migration u. Entwicklung – CIM von Frau Nesrine Jamoud  vorgestellt.


Am letzten Tag wurde folgender Aufruf einer Arbeitsgruppe verkündigt:

  1. Die drei wichtigen Konfliktseiten in Afghanistan (USA, afghanische Regierung, Taliban) sollten Gespräche ohne Vorbedingungen beginnen, um den Konflikt friedlich zu lösen.
  2. Von Afghanen und Deutschen sollte eine gemeinsame Gruppe gebildet werden, die an den Frieden in Afghanistan glaubt und sich ehrlich dafür einsetzt.
  3. Für den Frieden und wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans ein neuer Afghanistan-Konferenz in Bonn einberufen werden.
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