Vorwort zur 2. Auflage

Paschtunischer Pazifismus Die Paschtunen haben nicht erst heute, im Zeitalter der Taliban und der al-Qaida, ein Imageproblem. Schon das koloniale Indien mit
seiner Sucht nach Beschreibung und Kategorisierung von Volksgruppen verfestigte den Ruf der Paschtunen als „kämpferische Rasse“ und rekrutierte sie gerne für die koloniale Armee. Abdul
Ghaffar Khan (1890-1988) berichtet von einem hinduistischen Mitgefangenen im Dera-Ghazi-Khan-Gefängnis in den 1920er Jahren, der ihn danach fragt, ob es stimme, dass die Paschtunen Blut tränken: Solche bösartigen Gerüchte über Volksgruppen haben viel mit kolonialen Machtverhältnissen und deren Wissensökonomie zu tun.
Abdul Ghaffar Khan ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich unter einem blutrünstigen Paschtunen vorstellen mag. Als Spross einer angesehenen Paschtunenfamilie kämpfte er für Volksbildung, war Bündnispartner Mahatma Gandhis und der Kongresspartei im antikolonialen Kampf und setzte sich zugleich für eine fromme Korandeutung ein, die den Islam als Religion der Gewaltfreiheit auslegt. Dabei sparte er nicht mit Kritik an den Mullahs. Der “Frontier Gandhi“, wie er in Anspielung auf die geographische Lage seiner Heimat an der afghanischen Grenze genannt wurde, war zugleich ein glühender Anhänger des Paschtunentums diesseits und jenseits der Grenze zwischen dem heutigen Pakistan und Afghanistan, die das traditionelle Siedlungsgebiet der Paschtunen durchschneidet.
Geboren wurde er im pakistanischen Uthmanzai, begraben ist er auf eigenen Wunsch im afghanischen Dschalalabad. Dort wird sein Grab noch heute von Paschtunen von diesseits und jenseits der Grenze aufgesucht.
Die große Zeit Ghaffar Khans war die Zeit vor der Unabhängigkeit, als es ihm gelang, eine gewaltfreie Massenbewegung unter den Paschtunen zu initiieren – die „Rothemden“ (Khudai Khidmatgaran).
Badshah Khan – so der Ehrentitel – hat wie viele andere Führer des 10 Befreiungskampfes mehrere Jahre in kolonialen Gefängnissen abgesessen. Doch nach der Unabhängigkeit ging der Leidensweg für ihn in Pakistan mit noch größerer Wucht weiter – in seiner Autobiographie geht es auch um die 15 Jahre, die er bis dahin in pakistanischen Gefängnissen hatte zubringen müssen. Das offizielle Indien sieht dagegen in Badshah Khan den antikolonialen Freiheitskämpfer, Gesinnungsgenossen Gandhis und der Kongresspartei, der sich von der Idee eines muslimischen Staates in Südasien nicht anstecken ließ und sich durch die Aussicht auf ein von Hindus dominiertes postkoloniales Indien nicht bedroht fühlte. In Pakistan dagegen hört man bis heute, er sei nichts als ein indischer Spion gewesen.
Angesichts dieses von den nationalen Narrativen Indiens und Pakistans aufgeladenen Deutungsstreits ist das Studium der Quellen nahezu in Vergessenheit geraten. Dabei ist Badshah Khans
Autobiographie zweifellos ein bedeutendes Dokument der Zeitgeschichte. Hier lässt sich die Person in ihrem komplexen historischen Umfeld erkennen – zweifellos ein wichtiger Beitrag zur
Geschichte der Paschtunen im 20. Jahrhundert, zur Geschichte der Befreiung vom Kolonialismus in Südasien und zur Geschichte des Pazifismus im 20. Jahrhundert.
Darüber hinaus ist der Versuch Ghaffar Khans, eine pazifistische Deutung des Islam zu entwickeln und in den politischen Diskurs einzubringen, im Zeitalter des Islamismus und der
Terrorismusbekämpfung hochaktuell. Im Original in einem stilistisch unprätentiösen Urdu und Pashto erschienen, gibt das Buch die Ereignisse bis 1947 chronologisch wieder, wenn man auch ohne Detailkenntnis der Geschehnisse in den Jahren zwischen etwa 1910 und 1947 nur schwer alle Zusammenhänge verstehen kann. Wir können der Übersetzerin nur dankbar dafür sein, dass bereits seit 2012 eine deutsche Übersetzung vorliegt, die nun im 150.
Geburtsjahr von Mahatma Gandhi in einer bearbeiteten Neuausgabe herauskommt. Man beachte auch das historische Vorwort von Jayaprakash Narayan von 1969, Mitkämpfer Mahatma Gandhis im Freiheitskampf Indiens und nach der Unabhängigkeit leidenschaftlicher gewaltfreier Kämpfer gegen Armut und Ungerechtigkeit. Das Vorwort weist noch einmal
auf die leider weitgehend vergessene, doch zeitlose Botschaft Badshah Khans und des paschtunischen Pazifismus hin – eine Botschaft mit erheblicher Sprengkraft, die es im Zeitalter des
Kampfes gegen den Terror wieder zu entdecken gilt.
Heinz Werner Wessler Uppsala im September 2019

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