Afghanisch-Deutscher Begegnungen
Wieder einmal ist es den perfekt eingespielten Veranstaltern Amadeus Hempel vom Verein für politische Bildung (Hamburg) und Dr. Yahya Wardak von Afghanic e.V. (Bonn) gelungen ein tolles Programm mit vielen spannenden Programmpunkten zu organisieren und viele afghanische und deutsche Afghanistan-Interessierte als Teilnehmer für ihr Seminar zu gewinnen.
Beim 21. Hamburger Afghanistan-Seminar im CVJM-Tagungs- und Gästehaus „derSunderhof“ vor den Toren Hamburgs gaben sich die hochkarätigen Referentinnen und Referenten buchstäblich die Klinke in die Hand und ließen bei den etwa 50 Teilnehmern nie Langweile aufkommen.
Nach der obligatorischen offiziellen Begrüßung durch die Veranstalter, der Bekanntgabe der Seminarinhalte und einer kurzen Vorstellung der Teilnehmer erfolgte eine metaplan-technik- basierte Sammlung der aus Sicht der Teilnehmer wichtigsten Punkte zur aktuellen Situation in Afghanistan und der Afghanen in Deutschland, die in diesem oder einem der zukünftigen Seminare behandelt werden sollten. Zur Einstimmung auf die an den Folgetagen geplanten Vorträge, wurden zum Tagesausklang noch einige alte Filme zu afghanischen Projekten sowie einige aktuelle Reportagen über Afghanistan gezeigt.
Die Vortragsreihe begann mit einem fulminanten Vortrag des Arztes, Afghanistan-Förderers und vielfach ausgezeichneten Afghanistan-Experten und Schriftstellers, Dr. Reinhard Erös, über seine Arbeit in Afghanistan mit vielen persönlichen Einschätzungen und Prognosen, speziell bzgl. der aktuellen Flüchtlingssituation, aber auch hinsichtlich der vielen Milliarden, die Jahr für Jahr nach Afghanistan fließen, aber nur zu einem geringen Teil dort landen, wofür sie gedacht waren.
Nach einer kleinen Verschnaufpause folgte ein wissenschaftlicher Vortrag von Professor Michael Daxner über die aktuelle Afghanistan-Politik, die Situation in Afghanistan und die daraus resultierende Flüchtlingsproblematik in der afghanischen Diaspora, der mit einem kleinen Ausblick auf die sich abzeichnende Zukunft Afghanistans, sowohl die Chancen (z.B. Aufbau einer Parteienlandschaft) als auch die Risiken (z.B. Zerfall in viele kleine Provinz-Staaten) betreffend, endete.
Der afghanische Tänze betreffende Vortrag der Studentin und Tänzerin Angela Schöpke aus den USA bot ein wenig mentale Entspannung, führte aber trotzdem oder gerade deshalb zu einer regen Beteiligung aller afghanischen Teilnehmer sowie zu der Frage, ob die in den afghanischen Diasporas gepflegten, vermeintlich typisch afghanische Tänze, wie z.B. der ursprüngliche Kriegstanz Attan, in Afghanistan wirklich eine nationale Bedeutung haben, oder ob dies aus einer ggf. verklärten Außensicht nur so erscheint.
Silvia Nicola von der freien Universität Berlin und Mitarbeiterin von Professor Daxner berichtete über die Ergebnisse einer statistischen Befragung von Menschen im Norden Afghanistans, über mögliche Flucht- oder Bleibe- bzw. Rückkehrgründe und welche wissenschaftlichen Rückschlüsse daraus, z.B. bzgl. der sich abzeichnenden Flüchtlingsproblematik, gezogen werden können.
Die aus Dortmund angereiste, hoch angesehene Afghanistan-Pionierin Karla Schefter stelle im Rahmen eines Dia-Vortrages ihr Chak-e-Wardak Hospital-Projekt vor, das ausschließlich aus Spendengeldern finanziert wird und für die gesamten Provinz Wardak als einziges Hospital für alle Hilfesuchenden eine medizinische Grundversorgung nach europäischem Standard garantiert. In diesem Hospital werden Monat für Monat etwa 7000 ambulante und 800 stationäre Patienten durch afghanische Ärzte und Pflegekräfte kompetent behandelt und versorgt.
Direkt im Anschluß erfolgte ein Vortrag von Laila Noor, der Tochter des letzten gewählten Bürgermeisters von Kabul (Papa Ghulam) und Gründerin und 1.Vorsitzenden des Vereins „Independent Afghan Women Association e.V. (Bremen)“. Sie berichtete über die aktuellen Schulprojekte ihres Vereins, die es, trotz vieler behördlicher Schwierigkeiten, bisher tausenden von Mädchen und Jungen ermöglichten, eine gute und gesicherte Schulausbildung zu erhalten.
Wie jedes Jahr gab es auch dieses mal wieder aktuelle Informationen zu den eigenen Projekten der Seminar-Veranstalter und -Teilnehmerinnen. Dr. Yahya Wardak und Dr. Jürgen Kanne berichteten, dass die Tagesklinik Dewanbegi in Kabul mittlerweile an eine afghanische Ärzte-Vereinigung übergeben und von dieser in Betrieb genommen wurde. Dr. Jürgen Kanne stellte zusammen mit Frau Johanna Aab, dem aus der Schweiz kommende Taza Gul (Sohn von Ghazan Gul aus Khost) und dem am ehemaligen Paktia-Aufforstungsprojekt aktiv beteiligten Dipl.-Ing. Christian Wolter ihre Projektidee „Paktia-neu“ vor, das einen erneuten Versuch einer Wiederaufforstung in Paktia zum Ziel hat. Die ehemalige Gymnasiallehrerin und jetzige Englisch-Deutsch-Übersetzerin Ingrid von Heiseler berichtete über ihre bisherigen Afghanistan-Übersetzungen, u.a. der Autobiographie von Badshah Khan, einer Schriftensammlung von und über seinen Sohn, dem Künstler und Dichter Ghani Khan, sowie dessen „Skizze“ „Die Pathanen“, einem Gedichtsband von Rahman Baba und einiger Volkserzählungen aus dem „Spiegel der Nation“.
Frau von Heiseler las anschließend zum Vergnügen der Teilnehmer mit geschulter Stimme aus ihren aktuellsten Übersetzungen einige ausgewählte Passagen, Gedichte und Erzählungen vor.
Im letzten Vortrag berichtete die 1. Vorsitzende des Vereins Afghanistan Schulen, Marga Flader, über den aktuellen Stand ihres Schulprojektes und die als nächstes geplanten Aktivitäten. Der Vortrag wurde durch viele wunderschöne Bilder und Videos ergänzt, welche die auch in diesem Schulprojekt geleistete, tolle Arbeit eindrucksvoll dokumentierten.
Wie immer waren auch die Kinder der Teilnehmer willkommen, die diesmal durch die quasi mit den Afghanistan-Seminaren großgewordene Lema Wardak, die gerade ihr Abitur erfolgreich bestanden hat, diesmal zur großen Zufriedenheit aller Eltern und Kinder betreut wurden und es dadurch den Müttern ermöglicht wurde, ungestört am Seminar teilzunehmen.
Für den „Bunten Abend“ haben sich alle großen und kleinen Afghanen sowie einige der langjährigen deutschen Seminarteilnehmer wieder traditionell und farbenprächtig gekleidet.
Die Kinder hatten für diesen Abend leckere Plätzchen gebacken und in den Nationalfarben Afghanistans und Deutschlands bemalt. Dass es diesmal aus küchen-technischen Gründen keine selbstgemachten afghanischen Gerichte gab, trübte die Stimmung kaum, was sich auch dadurch zeigte, dass sich diesmal viele der Nicht-Afghanen, nach vorhergehenden Kurzeinweisungen von Lema Wardak, am traditionellen Attan-Tanz beteiligten. Im Gegenzug wurden die tanzfreudigen Afghanen, u.a. durch die Tänzerin Angela Schöpke, in die Kunst des Walzers eingeweiht, was allen Beteiligten und auch den Zuschauern viel Vergnügen bereitete. Als I-Tüpfelchen spielte einer der deutschen Teilnehmer, Jonas Brannath, auf einem afghanischen Saiteninstrument (Rubab) einige traditionelle Melodien aus Afghanistan.
Am letzten Tag gab es noch einmal ein kleines Feedback der Teilnehmer zum Seminar, und wer wollte, hatte auch noch die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge und Anregungen für das nächste Afghanistan-Seminar zu machen, was den Teilnehmern, zumindest was den ersten Punkt betraf, dieses mal aber eher schwer gefallen ist. Michael Brannath, HH, 24.8.16