So leben Afghanen in Bonn

Migrationsgeschichten aus Dransdorf. Von Annekatrin Stoll

Yahya Wardak und Ilona Arian haben gemeinsam den Themenabend „Afghanistan: Leute, Land, Kultur" organisiert. Foto Afghanic e. V.

Bei Kaffee Tee und Qabuli lernen Dransdorfer mehr über Afghanistan und begegnen ihren afghanischen Nachbarn Wie das Ankommen in Deutschland für Afghanen ist was sie sich wünschen und wie das Miteinander im Stadtteil funktioniert.

Liebe geht durch den Magen – und die Freundschaft unter Nachbarn auch. Das konnten Dransdorfer beim Kulturen-Café erleben. Der Nachmittag rund um Afghanistan bringt die Kultur und Geschichte des Landes den Bonner Bürgern näher und schafft einen Begegnungsraum zwischen Menschen mit verschiedener Herkunft.

Yahya Wardak vom Verein Afghanic und Ilona Arian vom Stadtteilverein haben den Thementag im Dransdorfer Stadtteilcafé organisiert. Afghanic wurde 1993 in Hamburg gegründet. Er betreibt Projekte in Afghanistan wie eine Klinik in Kabul. Außerdem hat er Lehrbücher für afghanische Universitäten entwickelt. In Bonn treffen sich afghanische Frauen einmal im Monat, und es gibt Themenabende zu Fragen wie Wohnungssuche, Integration oder Arbeitsmarkt. Diese Veranstaltungen richten sich vor allem an Afghanen. Der Stadtteilverein Dransdorf setzt sich für die Verbesserung der Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in Dransdorf ein.

Dabei richtet er sich nach den Prinzipien Beratung, Begegnung und Bildung – Ilona Arian ist für die Begegnungsstätte zuständig.

Zum Kulturen-Café sind viele Anwohner aus Dransdorf und Interessierte aus anderen Stadtteilen gekommen, Menschen aus Afghanistan, aus Deutschland und auch anderen Ländern. Bei Kaffee und Tee erzählt Yahya Wardak über das Land, das er selbst vor Jahrzehnten verlassen hat. Er berichtet von der Kultur und Geschichte Afghanistans, ein Land, in dem seit Jahrzehnten Krieg herrscht.

Diskussion über die Zukunft von Afghanistan

Um zu verstehen, wie die Taliban in Afghanistan eine solche Macht ausbauen konnten, müsse man das Land auch in seinen kulturellen Eigenheiten begreifen, so Yahya Wardak. In der langen Geschichte Afghanistans habe es niemand je erobern können. Einst sei Alexander der Große dort gescheitert, in jüngerer Vergangenheit die Briten, die Sowjets und schließlich die USA mit der NATO. Mit Soldaten und Armeen sei es schwierig, die Taliban zu bekämpfen, meint er. „Man muss sich damit beschäftigen, so wie man eine Krankheit behandelt. Warum ist sie entstanden, welche Bedingungen haben zur Entstehung beigetragen. Das ist sehr, sehr komplex.“ Das Thema stößt auf reges Interesse bei den Teilnehmern. Es entbrennt eine Diskussion über die Zukunft des Landes und die Frage, wie sich etwas ändern kann. Doch dann zieht der Duft aus der Küche durch den Raum: Das Essen ist fertig.

Es gibt verschiedene Spezialitäten zu entdecken. So etwa Pakora – dreieckige gefüllte Teilchen, frittiert und mit verschiedenen Soßen, die vielleicht auch aus der indischen Küche bekannt sind. Pirakai, ein dünnes Brot, gefüllt mit Lauch und Zwiebeln. Und Qabuli, ein Reisgericht mit Rosinen, Karottenstreifen, Safran und kleinen Stücken Lammfleisch. „Jede Familie serviert das, wenn Besuch kommt“, erzählt ein afghanischer Teilnehmer und rät: „Unbedingt probieren!“ Die Diskussion beruhigt sich, während die Menschen sich durch die Speisen probieren, und es entstehen kleinere, entspannte Unterhaltungen. Eine deutsche Teilnehmerin ist beeindruckt von der Präsentation: „Das war mir alles neu!“

Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei für Afghanen weiter schwierig

Die Integration in Deutschland ist in den letzten Jahren etwas einfacher geworden, erzählt Yahya Wardak. Es gebe mittlerweile mehr Sprachkurse. Aber der Zugang zum Arbeitsmarkt sei immer noch sehr schwierig. Sein Cousin, ein Rechtsanwalt aus Afghanistan etwa dürfe in Deutschland nicht arbeiten und habe sich hier zum Pfleger ausbilden lassen. Ein anderer Bekannter habe in Afghanistan Landwirtschaft studiert – hier lerne er Apotheker. Auch für Journalisten, die in Afghanistan für deutsche Medien gearbeitet hatten und dann evakuiert werden mussten, sei es schwierig: Obwohl sie inzwischen die Sprache recht gut beherrschen, können sie ihren alten Beruf auf Deutsch nicht ausüben. „Die müssen das aufgeben, das ist ein Prozess. Aber natürlich würden alle lieber in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten, den sie gelernt haben.“ Die Sprache sei der erste Schlüssel zur Integration, so Wardak. „An zweiter Stelle steht dann, sich die mitgebrachten Abschlüsse anerkennen zu lassen, aber dennoch nicht darauf zu warten, in dem alten Berufen arbeiten zu können.“ Man müsse sich am Arbeitsmarkt orientieren.

Ilona Arian vom Stadtteilverein berichtet, dass in Zukunft weitere solcher Thementage geplant seien. Sie hat an diesem Tag festgestellt, dass die Situation von Frauen Gegenstand großen Interesses ist, vielleicht könne man dazu etwas organisieren. Yahya Wardak sieht Bedarf beim Austausch zwischen den Kulturen. In Dransdorf leben sehr viele Menschen aus verschiedenen Ländern, doch oft fehle der Austausch untereinander. „Es gibt hier alle möglichen Veranstaltungen, Treffen für Ältere, Karneval-Veranstaltungen, aber da sind kaum Afghanen oder Syrer dabei. Und wenn die wiederum irgendwelche Feste feiern, dann sind keine Biodeutschen dabei. Es ist getrennt, obwohl wir Nachbarn sind!“ Darum brauche es mehr Plattformen:

„Wir wollen gemeinsam mit dem Stadtteilverein im neuen Jahr mehr solcher Länderabende machen. Dies soll der Beginn sein.“

INFO: Afghanisches Leben in Bonn
Seit über 20 Jahren wohnt Yahya Wardak in Dransdorf. Er berichtet, dass es dort einige Afghanen gebe, in Tannenbusch seien es jedoch noch mehr. Die Community habe kein wirkliches Zentrum, sondern lebe etwas verstreut.

Das führt er auf die schubweise verlaufende Einwanderungsgeschichte zurück: „Afghanen kommen in verschiedenen Wellen nach Deutschland. Die letzte Welle war nach dem Umsturz 2021. Damals kamen sehr viele, die auch untereinander vernetzt sind. Andere Afghanen sind 2015/16 ausgewandert.

Bei jedem Umsturz, bei jeder Krise kommt wieder eine Welle von Menschen, die mit Verfolgung rechnen oder Angst haben, weil sie ihr Regime verloren haben und fliehen müssen. Und bei jedem Krieg kommen wieder andere Afghanen. Das dauert schon 40 Jahre. Und zum Teil sind diese verschiedenen Wellen verfeindet! Darum gibt’s manchmal auch Krach.“

Nach einer Erhebung des Statistisches Bundesamts lebten in Nordrhein- Westfalen im Jahr 2023 rund 70.000 Menschen mit afghanischer Staatsbürgerschaft. In der Stadt Bonn lebten zum Ende des Jahres 2022 der Statistikstelle zufolge 2125 Menschen mit afghanischer Staatsbürgerschaft.                                                            Erschienen in General Anzeiger, 30.12.2024

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