om 29. April bis 15. Mai habe ich Afghanistan besucht, insbesondere die Klinik Dewanbegi in Kabul (im Rahmen der Klinikpartnerschaften*) und war in der Klinik beschäftigt. Hier mein kurzer Bericht über die Klinik:
Ernährungsprogramm
Laut UNICEF leben momentan (2019) über 2 Millionen unterernährte Kinder in Afghanistan. Auch in der Dewanbegi Klinik haben wir immer wieder unterernährte Frauen und Kleinkinder beobachtet. Aus diesem Grund haben wir das Ernährungsprogramm in der Dewanbegi Klinik ins Leben gerufen. Schwangere, Frauen in der Stillzeit und Kleinkinder, die unter Unterernährung leiden, werden in der Klinik untersucht und erhalten bei Bedarf ca. alle zwei Monate kostenfreie Lebensmittelpakete in einem Gesamtzeitraum von einem Jahr. In den Paketen sind Mehl, Getreide, Bohnen, Kichererbsen, Öl, jodiertes Salz, Milch und Vitaminpräparate enthalten. Das Ernährungsprogram wurde mit freundlicher finanzieller Untersetzung seitens der Kinderhilfe-Afghanistan Anfang des Jahres 2019 gestartet.
Momentan kommen täglich 5 – 10 Frauen und Kleinkinder in die Klinik. Alle Patientinnen, die die Klinik aufsuchen, werden untersucht und die Ergebnisse werden dokumentiert. In das Programm aufgenommen werden allerdings nur diejenigen, die Anzeichen von Unterernährung aufweisen oder gefährdet sind.
Qamar Gula ist vor 3 Jahren aus Pakistan nach Kunduz gekommen und aufgrund der Kämpfe vor 6 Monaten nach Kabul/Dewanbegi geflüchtet. Sie weiß nicht wie alt sie ist. Sie hat vier Söhne und drei Töchter. Ihr Mann hatte einen Tumor im Kopf und ist trotz teurer Behandlungen (100.000 Afghani) vor 7 Monaten gestorben.
Gestern hat Qamar Gula ihre Tochter zur Dewanbegi Klinik gebracht und wurde nach ersten Untersuchungen für das Ernährungsprogramm für Schwangere und Frauen in der Stillzeit aufgenommen. Heute hat sie eine Nachbarin mit einem Baby für die Anmeldung zum Programm zur Dewanbegi Klinik gebracht. Die Nachbarin heißt Bibi Zar und ist 30 Jahre alt. Sie hat 5 Kinder im Alter von 13, 10, 8, 5 Jahren und 8 Monaten.
Eine andere Frau heißt Sherin Gul, sie ist 40 Jahre alt und hat 7 Kinder. Ihr Mann sammelt Papier auf den Straßen und verkauft es weiter. Keines der Kinder geht zur Schule, weil die Familie es sich nicht leisten kann. Diese Binnenflüchtlinge bekommen weder Unterstützung von staatlicher Seite noch von internationalen Organisationen und sind ganz auf sich selbst in diesem neuem Umfeld gestellt. Sie müssen täglich kämpfen um zu überleben.
Alle kommen aus dem Distrikt Char Dara in der Provinz Kunduz nach Dewanbegi, weil es hier sehr günstige Lehmhütten zur Miete gibt. Sie haben im Distrikt Char Dara Häuser und Ackerland, aber aufgrund des Krieges sind sie nach Kabul gekommen. In Kunduz waren über 10 Jahre lang Soldaten der Bundeswehr stationiert, die dort für Sicherheit und Entwicklung sorgen sollten. Viele Hilfsgelder flossen damals in diese Provinz. Heute wird lediglich der Stadtkern von der Regierung kontrolliert, die restlichen Regionen stehen unter dem Einfluss der Taliban. Die Lage ist sehr instabil und es kann jederzeit zu neuen Kämpfen kommen.
An einem Nachmittag habe ich mich in der Klinik mit Dr. Qais ausführlich über das Ernährungsprogramm und Unterstützung der Klinik seitens der Kinderhilfe-Afghanistan ausgetauscht.
Dokumentation in der Klinik
Ich habe eine 60-jährige Frau am frühen Morgen um 7:00 Uhr vor der Klinik gesehen und der Guard wollte sie nach Hause schicken. Daraufhin habe ich sie in die Klinik gelassen, ihr einen Stuhl angeboten und mit Ihr gesprochen. Sie ist an Diabetes erkrankt und kommt seit drei Jahren regelmäßig zur Klinik. Ihre persönliche Akte konnte nicht gefunden werden und auf meine Anfrage hin wurde gesagt, dass sie nur zur Blutdruckmessung kommt und Medikamente von einem Arzt aus Pakistan bezieht und deswegen keine Akte in der Klinik vorhanden ist. Ich habe mit dem Allgemeinmediziner gesprochen und sie zu ihm gebracht. Es wurde eine Akte für sie angelegt, sie hat einen eigenen Diabetes-Pass bekommen und ein weiterer Pass wurde in ihrer Akte hinterlegt. Künftig sollen alle Zuckermessungen sowohl in ihrem Pass als auch in dem Pass in der Akte eingetragen werden. Des Weiteren hat sie einen Diabetes-Kleinausweis bekommen, den sie immer tragen soll, damit sie im Notfall entsprechend versorgt werden kann.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass leider immer noch nicht alle unsere Patienten richtig dokumentiert werden. Hier besteht weiterhin großer Bedarf an Erklärungen, Training, Follow up und Monitoring, bis die Dokumentation lückenlos funktioniert.
In einem anderen Fall habe ich festgestellt, dass eine Akte nicht gefunden werden konnte, obwohl der Patient mehrmals in der Klinik war und bereits eine Akte angelegt wurde.
Daraufhin wurde eine zusätzlich Mitarbeiterin für die Rezeption zur Aushilfe eingestellt und ein PC besorgt, damit alle bisherige Patienten mit Patientenakten hinterlegt und die täglich neuen Patienten digital erfasst werden. So hoffen wir, dass die Registrierung, Dokumentation und das Wiederfinden der Akten besser funktionieren. Dies soll auch ein erster Schritt in Richtung einer digitalen Datenbank oder eine Kliniksoftware (Praxisssoftware) für später sein.
In jeder Abteilung werden die täglich durchgeführten Aktivitäten dokumentiert. Mein Eindruck war, dass das besser funktioniert.
Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin haben sich am Morgen bei Ankunft in das Anwesenheitsbuch (Ketab Hazeri) einzugetragen und beim Verlassen wieder auszugetragen. Dies haben wir die „afghanische Art“ der Anwesenheitsdokumentation genannt. Zusätzlich haben wir eine „deutsche Anwesenheitsliste“ eingeführt, in der jeder den Tag, genaue Zeit der Ankunft und genaue Zeit des Verlassens der Klinik dokumentiert. Zusätzlich wird geschrieben, was sie an dem Tag gemacht haben z.B. wie viele Tests durchgeführt wurden. Dieses ist neu und wird zum Teil gut angenommen. Hier sollte noch mehr darauf geachtet werden, dass die Mitarbeiter auch die genauen Zeiten eingeben.
Aktuelle Belegschaft
- Dr Wares Safi, Leiter, Arzt Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde
- Dr Shakera Obaidi, Fachärztin für Gynäkologie/Geburtshilfe und Ultraschal
- Dr Zuhal Sherzoy, Zahnärztin
- Dr Ramin Faramarz, Facharzt für Orthopädie (einen Tag pro Woche)
- Dr Turyalai Hakimi, Facharzt für Kinderheilkunde: Beschneidungen (bei Bedarf zwei Mal im Monat)
- Ahmadullah Khaliqui, Laborant
- Moqbel Mohammadi, Apotheker
- Ziba, Vaccinatorin: Impfungen
- Firoza, Vaccinatorin: Impfungen
- Samira, Krankenschwester: Unterernährung
- Muhajera, Hebamme: Familienplanung, Kleinchirurgie, Wundversorgung
- Khadija, Krankenschwester: Rezeption
- Wahidullah Hoseinkhel, Wachmann und Koch
- Khaled Khplwak, Informatiker und Jurist: IT und Verwaltung
- Fahim Habibi, Jurist: Finanzen
- Aminullah, Hilfsarbeiter
- Shiba Gul, Reinigungskraft
Mehr als die Hälfte des Personals ist weiblich.
Abteilungen
Folgende Abteilungen und Bereiche sind zurzeit in der Klinik in Betrieb
- Allgemeinmedizin – Dr Wares Safi
- Kinderheilkunde – Dr Wares Safi
- Gynäkologie und Geburtshilfe – Dr Shakera Obaidi
- Ultraschall – Dr Shakera Obaidi
- Zahnmedizin – Dr Zuhal Sherzoy
- Labor – Ahmadullah Khaliqui
- Apotheke – Moqbel Mohammadi
- Impfungen – Ziba und Firoza
- Unterernährung – Samira
- Kleinchirurgie, Wundversorgung – Muhajera
- Orthopädie (einen Tag pro Woche) – Dr Ramin Faramarz
- Beschneidungen (Bei Bedarf zwei Mal im Monat) – Dr Turyalai Hakimi
Psychosoziale Betreuung
Das Personal der Klinik wurde von Trainern und Trainerinnen der IPSO-Afghanistan (International Psychosocial Organisation) in vier Sitzungen in psychosoziale Gesundheit und Beratung weitergebildet.
Zu Zeit werden Patienten der Klinik an eine Beratungsstelle dieser Organisation in Kabul verwiesen, wo sie kostenfreie Beratung bekommen können.
IPSO-Afghanistan wird in den nächsten Wochen versuchen, ihr mobiles Team mit einer weiblicher Beraterin und einem männlichen Berater einmal pro Woche zur Dewanbegi Klinik für zwei /drei Stunden zuschicken, damit auch vor Ort eine Beratung stattfinden kann. Wünschenswert wäre, wenn wir eine dauerhafte Beratungssprechstunde in der Klinik etablieren könnten.
Rückmeldungen der Bevölkerung
Momentan suchen ungefähr 40 Patienten pro Tag die Klinik auf. Davon sind ca. 80% Frauen. Dies liegt vor allem am Angebot, das sich stark an den Bedürfnissen von Frauen orientiert (z. B. Gynäkologie, Geburtshilfe, Familienplanung, Ernährungsprogramm, Impfungen von Kleinkindern). Außerdem haben wir festgestellt, dass fast alle Frauen die Klinik auch ohne männliche Begleitung aufsuchen, da diese sich mitten im Wohngebiet befindet und somit keine weiten Wege zurückgelegt werden müssen.
Bei meinen Befragungen der Patienten und der Bevölkerung habe ich durchaus positive Rückmeldungen über die Klinik, das Personal und die Leistungen erfahren. Es gab keine Beschwerden, und die meisten der Befragten waren zufrieden und sagten, dass sie weiterhin die Klinik in gesundheitlichen Fragen aufsuchen werden.
Dr Yahya Wardak, Kabul/Bonn, Mai 2019